Roman Schleifer:
Mit »Mars Discovery« setzt du die Streiflichter fort, die in deinem Spiegel-Bestseller »Das Erwachen« begannen und in »Die Eskalation« fortgeführt wurden. In diesen Streiflichtern geht es um die erste bemannte Marsmission.
War von Anfang an ein eigenes Buch geplant?
Andreas Brandhorst:
Nein, das war nicht von Anfang an geplant. Die Idee kam mir beim Schreiben der Streiflichter, als die Figuren immer mehr Tiefe bekamen und mit ihnen auch ihre eigene, besondere Geschichte. Außerdem bekam ich nach »Das Erwachen« zahlreiche Anfragen von Lesern, die fragten, wie es denn mit der Mars Discovery weiterginge.
Roman Schleifer:
Wie haben sich diese Streiflichter letztendlich zu einem eigenständigen Buch entwickelt?
Andreas Brandhorst:
Konkret wurde das Projekt während der Arbeit an »Die Eskalation«. Als ich in diesem Roman die Streiflichter um die Mars Discovery fortsetzte, reifte die Idee heran, einen eigenständigen Roman daraus zu machen. Da begann bereits die Planung.
Roman Schleifer:
In gewisser Weise ist »Mars Discovery« Teil 3 mit der Geschichte über die Maschinenintelligenz Smiley oder Goliath (siehe Interview vom ). Haben wir eine Chance auf Teil 4?
Andreas Brandhorst:
Eigentlich gibt es Teil 4 bereits, erschienen vor den anderen Romanen: »Das Schiff«. Aber abgesehen davon wird es keine Fortsetzung geben, die Geschichte ist erzählt.
Roman Schleifer:
Genaugenommen ist das Buch zweigeteilt. Einmal die Erlebnisse auf dem Mars der – im weitesten Sinne Gegenwart – und danach bietest du uns die epochale Science Fiction, die wir von anderen Büchern gewohnt sind. Welche der beiden Genres macht dir mehr Spaß?
Andreas Brandhorst:
Ich mag es, wenn sich eine Geschichte immer mehr öffnet, wenn sie klein beginnt und immer größer und größer wird. Das war beim Schreiben von »Mars Discovery« ein besonderer Reiz für mich. Sowohl die »kleinen« Szenen auf Erde und Mars haben mich fasziniert als auch die »großen« in den Weiten des Kosmos. Es ist dabei nicht leicht, ein Gefühl für die richtige Perspektive zu behalten.
Roman Schleifer:
Eleonora Delle Grazie ist wie alle deine Helden eine tragische Figur. Als Kind verliert sie ausgerechnet bei einem Unfall in der Raumfahrt ihre Eltern, wird schließlich mit viel Durchhaltevermögen Kommandantin der bemannten Marsmission, um danach die Jahrtausende zu durchwandern. Können gute Figuren für gute Storys nur tragisch sein?
Andreas Brandhorst:
Sind Heldinnen und Helden nicht immer zumindest ein wenig tragisch? Eleonora ist vor allem eine Person, die ihrer Verantwortung gerecht wird. Sie verwirklicht ihren Traum, die Erde zu verlassen und zum Mars zu fliegen, ohne zunächst zu ahnen, dass der Rote Planet nur die erste Etappe einer langen, langen Reise durch Raum und Zeit wird. Sie ist ein Mensch, der nicht nur an sich selbst denkt, an die eigenen Wünsche, sondern sich seiner Verantwortung stellt. Das ist keine Tragik, sondern Größe. Eleonora wächst im Lauf der Handlung über sich hinaus und zeigt die besten Seiten ihres Menschseins sogar dann, als sie sich immer mehr von ihrem eigentlichen menschlichen Ursprung entfernt.
Roman Schleifer:
Bei der Marsmission gibt es eine internationale Zusammenarbeit, dennoch kocht irgendwie jeder sein Süppchen. Sind wir Menschen so? Haben wir keine Chance, uns wirklich zu vertrauen?
Andreas Brandhorst:
Die Crew ist zu Anfang durchaus eine verschworene Gemeinschaft mit einem gemeinsamen Ziel. Doch dann geschehen Dinge, die alles verändern, auch die Crewmitglieder. Die Unterschiede und Konflikte gehen nicht auf die verschiedenen Nationalitäten zurück, sondern auf charakterliche Eigenheiten. Jeder Mensch ist anders. Jeder reagiert anders, wenn es zu kritischen Situationen kommt.
Roman Schleifer:
Im zweiten Teil des Buches erfahren wir von einem Krieg, der das ganze Universum durchzogen hat. Auch dieses Motiv zieht sich durch viele deiner Bücher. Ich bin immer wieder erstaunt, mit welchem neuen, faszinierenden Hintergründen du dieses Kriegsmotiv versiehst. Was denkst du? Hast du alle Varianten durch?
Andreas Brandhorst:
Ich würde nicht von »Krieg« sprechen, sondern von »Konflikt«, und darum geht es praktisch in jedem Roman, ob Science Fiction oder nicht: um Konflikte auf persönlicher, nationaler oder globaler Ebene. Ich liebe die großen Bilder auf der riesigen Bühne des Universums, und deshalb sind die Konflikte, um die es in meinen Science-Fiction-Romanen geht, manchmal kosmischer Natur. Und nein, ich habe noch längst nicht alle Varianten durch. In einem unendlichen Universum gibt es unendlich viele Möglichkeiten …
Roman Schleifer:
Du nutzt bei »Mars Discovery« die Chance, offene Fäden aus einem anderen Buch zu verknüpfen und diese Geschichte zumindest teilabschließen. (Ich nenne das Buch bewusst nicht, um einen Spoiler zu vermeiden). Wie wichtig ist dir, dass die Bücher so richtig abgeschlossen sind?
Andreas Brandhorst:
Ich habe den Roman in der Antwort auf eine andere Frage (siehe oben) genannt und glaube nicht, dass ich dabei zu viel über Inhalt und Verzweigungen der Geschichte verraten habe. 🙂 Wie dem auch sei, die Handlung der einzelnen Romane sollte natürlich abgeschlossen sein, wenn es sich nicht explizit um eine Fortsetzungsgeschichte handelt. Aber das bedeutet nicht, dass keine Brücken und Verbindungen zu anderen Romanen existieren dürfen. Ich mag so etwas, die »Verknüpfung von Universen«: Manchmal schreibe ich in einem Roman ganz bewusst etwas, das keine zentrale Rolle in der aktuellen Handlung spielt, von dem ich jedoch weiß, dass ich darauf in einem ganz anderen Roman zurückgreifen werde.
Roman Schleifer:
Wenn ich so nachdenke, könntest du bei vielen Büchern weiterschreiben, um den erweiterten Erzählstrang oder das Setting zu beenden. An welchem Erzählstrang deiner bisherigen Bücher willst du auf jeden Fall weiterschreiben?
Andreas Brandhorst:
»Auf jeden Fall« an keinem. Es sind immer Möglichkeiten, Türen, die ich öffnen könnte, um herauszufinden, was sich dahinter befindet. Manchmal sind mir die Figuren eines Romans auch so sehr ans Herz gewachsen, dass ich mich nach dem letzten geschriebenen Satz frage: Wie könnte es mit ihnen weitergehen? So ist es mir bei Rieker und Black Lily in »Sleepless« ergangen.
Roman Schleifer:
Welche Fähigkeit aus deinem Privatleben hat dir geholfen, »Mars Discovery« zu schreiben?
Andreas Brandhorst:
Durchhaltevermögen und Disziplin. Gerade die zweite Hälfte von »Mars Discovery« war alles andere als einfach zu schreiben, und zur gleichen Zeit steckte ich in den Vorbereitungen für »Sleepless«, die Texte für die E-Books und Hörbücher. Das war eine besondere Herausforderung.
Roman Schleifer:
Eleonora steht an ihrem eigenen Grab … wie würde es dir in so einer Situation gehen? Welche Gedanken hättest du in dieser Situation?
Andreas Brandhorst:
Ich schätze, ich hätte allen Grund, über mein Leben nachzudenken und mich zu fragen, ob ich immer und überall den richtigen Weg eingeschlagen habe.
Roman Schleifer:
Am Ende des Buches stößt Eleonora auf eine unendliche Schlacht. Wie bist du auf diese Idee gekommen?
Andreas Brandhorst:
Sie passt ins kosmische Bild. Ich denke beim Schreiben oft in solchen Bildern und sehe die Handlung wie Szenen eines Films.
Roman Schleifer:
Seit Ende Juli 2021 ist dein Buch »Sleepless« im Laden und in den ebook-Stores. Hierzu hast du mir bereits ein paar Fragen beantwortet. (link). Mittlerweile bin ich bei einem Drittel des Buches angelangt und nutze die Gelegenheit für weitere Fragen: Ich verstehe, wieso du gern eine Black Lily in deinem Leben gehabt hättest … wobei … was nicht ist, kann ja noch werden…
Andreas Brandhorst:
Ich hätte mich sehr, sehr gefreut, wenn das früher der Fall gewesen wäre. Inzwischen ist es ein bisschen spät dafür. Ich bin 65.
Roman Schleifer:
Ein Jahr noch, dann fängt das Leben doch erst an …
Andreas Brandhorst:
Bin gespannt, ob es tatsächlich so ist. Es dauert ja nicht mehr lange, ich kann bald berichten.
Roman Schleifer:
»Sleepless« besteht aus einer Vergangenheitsebene und einer Gegenwartsebene. Werden beide zusammenlaufen?
Andreas Brandhorst:
Tun sie, ja. Zum Schluss ergibt alles ein großes Bild.
Roman Schleifer:
Kommissar Alexander Rieker ist ein Mann, der seine eigenen Prinzipien höher bewertet als das Gesetz. Wie handhabst du das?
Andreas Brandhorst:
Man muss sich selbst treu bleiben, das ist einer der wichtigsten Grundsätze im Leben. Man sollte immer so handeln, dass man später nicht bereut, so gehandelt zu haben. Rieker macht genau das. Er ist durch und durch integer.
Roman Schleifer:
Noch etwas Skuriles zum Abschluß: »Sleepless« war wenige Tage nach dem Erscheinen bereits die Nr. 17 in Männerratgebern auf Amazon …. äh … wie erklärst du dir diese Platzierung?
Andreas Brandhorst:
Ich nehme an, Amazons KI hat ihre besonderen Gründe für diese Bewertung.
Roman Schleifer:
Andreas, danke für deine Zeit.
Das Interview führte Roman Schleifer für die “Perry Rhodan Online Community”: https://www.proc.org/interview-mit-andreas-brandhorst-zu-mars-discovery/
MARS DISCOVERY
ET 04.01.2021, ISBN 978-3-492-70513-4, Klappenbroschur, 512 Seiten, Verlag: Piper