Ein kleiner Ratgeber für das Schreiben, 2. Teil
Plan oder Bauchgefühl
Es gibt grundsätzlich zwei Arten von Autoren: die Planer und die Bauchgefühl- oder Instinkt-Schreiber. Ich gehöre zur ersten Gruppe, aber ich bin auch einmal Mitglied der zweiten Gruppe gewesen, vor fast 40 Jahren, während meiner ersten Jahre als Profiautor.
Die Planer, es ist nicht schwer zu erraten, planen den Roman, bevor sie mit dem Schreiben beginnen. Sie kennen den Anfang und das Ende, und sie wissen auch, wie sich die Handlung in der Mitte entwickelt. Ein sorgfältiger Planer bereitet jedes einzelne Kapitel vor, mit einigen Sätzen, die das Wesentliche festhalten, oder auch detaillierter auf mehreren Seiten, fast schon eine komplette Version des Kapitels. Er überlässt nichts dem Zufall und skizziert auch die Entwicklung seiner Figuren. Er weiß, wo die Reise beginnt, über welche Zwischenstationen sie führt und wo sie aufhört.
Der Bauchgefühl-Schreiber verlässt sich auf seine Intuition. Er hat eine Grundidee, und mit dieser Idee im Kopf beginnt er seinen Roman, darauf vertrauend, dass ihm beim Schreiben alles einfällt: Personen (abgesehen von denen, die unmittelbar mit der Grundidee verbunden sind), Schauplätze, Ereignisse und vielleicht sogar … der Plot. Der Plot ist das dramaturgische Gerüst, die rote Linie, die sich durch den Roman zieht, der Spannungsbogen, der genau das sein sollte: ein Bogen und keine Schlangenlinie. Wer sich als Autor ausschließlich auf das Bauchgefühl verlässt, hält den Zufall für einen vertrauenswürdigen Verbündeten und setzt ganz auf die eigene Just-in-time-Kreativität beim Schreiben. Ich habe diese Art des Schreibens einmal mit einem Maurer verglichen, der ein Haus baut, aufs Geratewohl Stein auf Stein setzt und denkt: Es wird schon irgendwie werden. Es kann gut gehen. Muss aber nicht.
Ein Roman ist ein komplexes Ding. Man vergleiche ihn mit einem großen Uhrwerk, in dem alle Zahnräder am richtigen Platz sein müssen, wenn es funktionieren soll. Ein Roman braucht Struktur und klare Linien. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnt, Mühe und Zeit in die Planung zu investieren, denn dadurch vermeidet man Logikfehler und Abschweifungen. Man bekommt, und das ist wichtig, eine klarere Vorstellung von dem, was man schreiben will, und das findet seinen Niederschlag im Text – der Leser spürt sie, die sichere Hand des Autors, seine Gewissheit.
Mein Tipp: Planen Sie. Überlassen Sie nichts dem Zufall. Nehmen Sie die dramaturgischen Zügel fest in die Hand. So sehr es Sie auch drängt, mit dem Schreiben zu beginnen, weil Sie von Ihrer Idee begeistert sind: Nehmen Sie sich die Zeit, Einzelheiten zu notieren und zu überlegen, wie und wohin sich die Handlung entwickeln soll. Stellen Sie sich einzelne Szenen wie Sequenzen eines Films vor und halten Sie sie mit einigen Sätzen fest. Schreiben Sie vor Ihrem Roman eine Art Drehbuch für den Roman. Sie werden feststellen, dass Ihnen die Arbeit anschließend erheblich leichter fällt.
Fortsetzung folgt.
Sehr interessant zum erfahren, wie andere Autoren ihre Ideen in die Tat umsetzen. Ich bin der typische Bauch-Schreiber. Ich habe eine Idee und bin gespannt, wo diese mich hinführt. Keines meiner mittlerweile 40 Bücher ist geplant. Daher kommt es auch zu Wendungen, die mich und die Leserschaft überraschen. Aber mir ist klar, dass man dafür unbedingtes Vertrauen in die eigene Fantasie braucht, sonst wird das wirklich nix. Und ich habe großen Respekt vor Autoren, die haarklein planen, wie jede Szene aussieht und was wann geschieht. (Ich mache das auch, aber zwischendurch und nur teilweise, wenn etwas zu komplex und unübersichtlich wird.)
Ich glaube, beide Herangehensweisen haben ihre Stärken und Schwächen. Um den Vergleich mit dem Bau eines Hauses aufzugreifen: Ein perfekt konstruiertes und durchgestyltes Designerhaus, in dem alles genau am richtigen Fleck sitzt, hat sicherlich seinen Reiz, aber den hat auch ein 200jähriger Altbau, der alles andere als perfekt, dafür aber stimmungsvoller ist.
Deine neueren Roman sind zweifellos besser konstruiert und auch sprachlich reifer, dennoch greife ich auch gerne nochmal zu Frühwerken wie „Der Netzparasit“, „Schatten des Ichs“ oder „Mondsturmzeit“. Sie zeigen einen anderen Brandhorst, bei dem die Handlung manchmal weit ausufert und sich vom eigentlichen Erzählstrang entfernt, doch leben die Texte gerade von der überbordenden Phantasie, die sich in kein Korsett schnüren lässt.
Wichtig ist für mich vor allem, dass beim Schreiben wie beim Mauern das fertige Konstrukt tragfähig ist. Es darf nicht zu steril und geplant wirken, aber natürlich dürfen Haus wie Geschichte auch nicht in sich zusammenbrechen, sobald man ein bisschen an der Fassade kratzt. Alles weitere richtet sich nach dem persönlichen Geschmack.
Ich habe gerade meine frühen Storys für einen Sammelnband be- und überarbeitet und bin teilweise ziemlich erschrocken darüber gewesen, was und wie ich damals geschrieben habe. 🙂 In den vergangenen über 40 Jahren habe ich viel dazugelernt und meinen eigenen sprachlichen Weg gefunden. Und genau darum geht es: Jeder Autor muss nicht nur seine eigene Stimme finden, sondern auch die Methode des Schreibens, die am besten zu ihm passt. Ich weiß heute gründliche Vorbereitungen sehr zu schätzen. Sie erleichtern die eigentliche Schreibarbeit und verschaffen mir einen besseren Überblick. Aber ich kenne auch Kollegen, die “intuitiv” schreiben, ohne eine präzise Vorbereitung, und dabei sehr gute Romane schaffen.