Kollege Christian Endres, Autor von »Wolfszone« (https://www.penguin.de/buecher/christian-endres-wolfszone/buch/9783453274716), hat für die Webseite »Diezukunft.de« ein Interview mit mir geführt: https://diezukunft.de/interview/buch/im-gespraech-mit-andreas-brandhorst
Ich gebe das Interview hier wieder:
Hallo Andreas. Hast du schon mal einen Glitch in der Realität gehabt, erlebt oder gesehen, oder es zumindest geglaubt?
AB: Ich denke, jeder von uns hat schon einmal etwas erlebt, das sich nur schwer oder gar nicht erklären lässt: seltsame Zufälle, das plötzliche Wissen um Ereignisse an einem fernen Ort, das Gefühl, etwas schon einmal gesehen oder gehört zu haben. Es mangelt nicht an Rätselhaftem in der Welt, die uns umgibt, man denke nur an religiöse »Wunder« oder die bizarren Phänomene im Reich der Quanten. Was meine persönlichen Erfahrungen betrifft … Ich weiß nicht, ob es sich dabei um einen »glitch« handelte, einen Fehler in der Simulation, es war auf jeden Fall ein sehr seltsames, aber auch willkommenes Erlebnis. In Italien, wo ich 30 Jahre verbracht habe, bin ich eines Morgens nach einer normalen Nacht und einem gewöhnlichen Tag zuvor mit einem kompletten neuen Roman im Kopf aufgewacht. Alles war präsent: der Handlungsbogen, die einzelnen Szenen, die Figuren und ihre Interaktionen. Ich musste nur noch das eine oder andere Detail hinzufügen. Ansonsten konnte ich »abschreiben«, was ich im Kopf hatte. Ich habe mir damals sofort Notizen gemacht, aber die Mühe hätte ich mir sparen können, denn im Gegensatz zu einem gewöhnlichen Traum verblasste die Erinnerung nicht, sie blieb klar und deutlich. Die fremde Realität spielt in dem Roman übrigens eine wichtige Rolle. Auf diese Weise entstand »Die Stadt«, geschrieben in Italien 2010 und erschienen bei Heyne ein Jahr darauf, 2011.
Dein neuer Roman „Der Riss“ wurde u. a. von einer Mitteilung deiner Hacker-Freunden aus Amsterdam inspiriert. Wie bist du überhaupt zu Hacker-Freunden gekommen, und was genau haben sie dir denn erzählt, das dich zum Schreiben eines Buches veranlasst hat?
AB: Es hat mit den Recherchen für den Roman »Das Erwachen« begonnen, der 2017 bei Piper erschien und 4 Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste stand – es geht darin um Künstliche Intelligenz und echte Maschinenintelligenz. Während des umfangreichen Recherchierens bekam ich tiefe Einblicke in Hacker-Szene in Deutschland, Dänemark und vor allem in den nahen Niederlanden. Es begann mit Kontakten über den CCC, den Chaos Computer Club, und führte schließlich zum sehr obskuren »Club Creme« in Amsterdam, vom Emsland aus leicht zu erreichen. Die dortigen Hacker sind ausschließlich Whiteheads (wenn auch hier und dort mit ein paar, äh, Grausträhnen) und arbeiten teilweise eng mit Anonymous, der Wikileaks-Gruppe um Edward Snowden und diversen Whistleblower-Organisationen zusammen. Die vor Jahren geknüpften Kontakte haben mir sehr geholfen und sind heute mehr denn je eine große Hilfe. Einige damit verbundene Geschichten erzähle ich gern bei meinen Lesungen, und dazu gehört auch die, wie es dazu kam, dass ich mit dem Projekt »Der Riss« begann. Ich kann sie hier nicht wiedergeben, das würde den Rahmen dieses Interviews sprengen. Bei meinen Lesungen erzähle ich etwa zehn Minuten lang davon, und ich garantiere: Es ist eine sehr interessante Geschichte! 🙂 Es lohnt sich also auch deshalb, eine meiner Lesungen aus »Der Riss« zu besuchen.
Hacker sind klassische Cyberpunk-Protagonisten. Hat sich ihr öffentliches, aber auch ihr literarisches Bild seit den 1980ern verändert – und gibt es Dinge, die man unbedingt beachten muss, wenn man heute über sie schreibt?
AB: Die Hacker in Filmen und Romanen haben wenig bis gar nichts mit der Realität zu tun. Ich habe mich bei »Der Riss« nicht von irgendwelchen »Cyberpunk«-Klischees inspirieren lassen, sondern von meinen Erfahrungen mit dem Original, das viel interessanter und facettenreicher ist, das garantiere ich! 🙂 Von wegen Nerds mit Kapuzenpullis und dergleichen! Es sind Leute, die mit Computern so gut umgehen können wie ein begnadeter Bildhauer mit Hammer und Meißel. Ich dachte, ich käme einigermaßen mit Computern zurecht, aber »Goldeneye« und »Mandorla« (ihre Nicks; wer im Darknet unterwegs ist, könnte fündig werden, wenn er an den richtigen Stellen sucht) vom Club Creme haben mir gezeigt, dass ich im Vergleich mit ihnen ein blutiger Amateur bin. 🙂
Was ist dir besonders wichtig, wenn du eine AKI wie Jota in „Der Riss“ – also eine KI mit Bewusstsein – in einem Roman verwendest?
AB: Jota macht sich in »Der Riss« Gedanken über Moral und Ethik und vergleicht die Ansprüche der Menschen, ihre Theorie, mit der tatsächlichen Praxis in Leben und Handeln. Sie ist wie ein Spiegel, der den Menschen vorgehalten wird und der ihr wahres Bild zeigt. Ich bin davon überzeugt, dass wir nicht mehr weit von AKI, von »starker« Künstlicher Intelligenz, und von echter Maschinenintelligenz entfernt sind. Es könnte durchaus sein, dass uns schon bald ein Spiegel vorgehalten wird, in dem wir erkennen, wie wir wirklich sind.
Verschwendet die Menschheit ihre digitale Power und KI-Leistung eigentlich? Was sollte man vielleicht stattdessen besser mit der ganzen Rechenleistung tun?
AB: Wer entscheidet, was Verschwendung ist und was nicht? Wer befindet darüber, wofür Rechenleistung eingesetzt werden soll und wofür nicht? Es kommt immer auf den Blickwinkel an. Derzeit findet ein Wettrennen um die erste AKI statt, und das könnte extrem gefährlich werden, weil es vorrangig um Macht, Einfluss und viel Geld geht. Wenn es so weit ist, wenn »das Erwachen« stattfindet, hören wir vielleicht ein lautes, vielstimmiges »Huch, wer konnte damit rechnen?«
KI ist überall ein großes Thema, und SF-Autoren werden gerne gefragt, ob die Aussichten sie besorgen, oder ob sie unser Heil (Klima, etc.) gar in KI sehen. Aber lass es uns etwas greifbarer angehen. Wie wird KI unser, oder konkret dein Leben, in den nächsten fünf, zehn Jahren spürbar verändern?
AB: Darüber könnte man längere Vorträge halten, was ich bereits getan habe (u.a. bei IBM und Sony) und werde (beim IT-Summit von Heise am 19.11. in München). KI (von MI, wenn es dazu kommt, ganz zu schweigen) wird unser Leben und unsere Gesellschaft völlig umkrempeln. Das gilt übrigens auch für den künstlerischen Bereich. Cover-Designer müssen umdenken, und nicht nur ein bisschen. Sie müssen sich ganz neu erfinden. Übersetzer können sich mit KI-Helfern wie DeepL die Arbeit erleichtern, riskieren aber, in einigen Jahren arbeitslos zu werden. Und was machen Autoren, wenn KI plötzlich bessere Romane schreibt? Meine Prognose: Wir werden bald ein neues Label bekommen: »Made by human«. Ich bin grundsätzlich optimistisch: KI wird immer mehr zu einem überaus mächtigen Werkzeug, mit dem wir, wenn wir es richtig anstellen, die größten Probleme unserer Welt lösen könnten. Es hängt allein von uns ab.
Du hast vor ein paar Monaten deinen Newsletter gestartet, um direkt mit Leserinnen und Lesern in Kontakt zu treten. Ist das deine Reaktion auf den Algorithmus und die Entwicklung der Sozialen Medien?
AB: Nein, es ist eher die praktische Umsetzung des Gedankens: He, es wäre doch schön, einen direkten Draht zu meinen Lesern zu haben. Er erscheint einmal im Monat, immer am 16., und berichtet von meinen Projekten und anderen Dingen, von denen ich glaube, dass sie für meine Leser interessant sein könnten. Kostenlos abonnieren kann man ihn übrigens hier: https://www.andreasbrandhorst.de/2024/04/05/newsletter/
Du wechselst munter zwischen sehr gegenwärtigen Thrillern mit SF-Background und kosmischer Hard-SF. Brauchst du die Abwechslung, und ist es auch beim Schreibprozess dann ein Unterschied, ein anderes Mindset für dich?
AB: Stimmt, ich schreibe gern abwechselnd. Wenn ich an einem Near-Future-Thriller arbeite, schöpft die für kosmische Science-Fiction zuständige Gehirnhälfte neue Kraft und Kreativität. Und wenn ich SF schreibe, sammelt der Thriller-Autor neue Ideen und Daten. Dieser Wechsel hilft mir, innovativ zu bleiben und einen Genre-Tunnelblick zu vermeiden. Hinzu kommt: Herangehensweise und Art und Umstände des Schreibens sind anders, was ebenfalls immer wieder für frischen Wind in meinem persönlichen Universum der Kreativität sorgt. Die Herausforderungen sind immer wieder von anderer Art, das mag ich.
Als nächstes steht bei dir ein Gemeinschaftsprojekt mit Joshua Tree und Brandon Q. Morris an, ihr werdet je einen Roman der „Origin“-Trilogie bei Heyne schreiben, von dir kommt der erste Band. Wie kam es zu dieser Serie, und wie müssen wir uns das Konzipieren und Schreiben zu dritt vorstellen?
AB: Weltentwurf und Handlungsrahmen stammen von mir, ebenso natürlich das Konzept für den ersten Band. Joshua Tree und Brandon Q. Morris haben ihre eigenen Ideen hinzugefügt und ihre Teile der Trilogie selbst entwickelt – die übrigens bei Heyne erscheint, aber Sommer 2025. 🙂 Wir schreiben nicht »zu dritt«, sondern jeder seinen Band, aufbauend auf dem zuvor Erzählten. Das Projekt soll zwei Welten zusammenführen: die der traditionellen Verlage, repräsentiert von mir, und die andere des Selfpublishing. Joshua und Brandon sind sehr, sehr erfolgreich in ihrer Welt, ich bin es in meiner. Also vereinen wir beides miteinander und erreichen so hoffentlich noch mehr Leser. Es wird spannend, in jeder Hinsicht!