Die Faszination von GESCHICHTEN

Warum finden wir eigentlich so großen Gefallen an erzählten Geschichten? Es gibt viele Antworten auf diese Frage, und mir gefällt diese: weil wir Menschen in der Lage sind, uns in die Lage anderer Menschen zu versetzen. Es bedeutet, dass wir Anteil nehmen, mit fremden Augen und Ohren sehen und hören können. Wir fiebern mit, wir teilen Freude und Schmerz, wir tauchen ein nicht nur in fremde Welten, sondern auch und vor allem in das Leben ihrer Bewohner.

Vor vielen Jahren schrieb mir Terry Pratchett, dass ihn Leser seiner Scheibenweltromane manchmal fragen, wie es mit bestimmten Figuren nach dem Ende eines Romans weiterginge. Es zeigt, wie sehr die Leser Anteil genommen, wie sehr sie in der Geschichte gelebt haben. Genau darum geht es: um das Erleben fremder Leben. Das macht Geschichten so überaus reizvoll für uns: Sie geben uns die Möglichkeit, in ein anderes Leben zu schlüpfen, die Dinge aus einer neuen Perspektive zu sehen, anders zu denken und zu fühlen. Geschichten bereichern uns; sie heben die Beschränkungen auf, denen wir ohne sie unterliegen.

Übrigens geht es nicht nur Lesern so, sondern auch den Autoren. Während meiner fast einjährigen Arbeit an »Sleepless« (https://www.piper.de/buecher/sleepless-isbn-978-3-492-06230-5) schloss ich Black Lily immer mehr ins Herz, und ja, ich würde gern wissen, wie es nach der Geschichte mit ihr und Rieker weitergeht. Bei »Das Bitcoin-Komplott« (https://www.fischerverlage.de/buch/andreas-brandhorst-das-bitcoin-komplott-9783596707195) hatte es mir Dakota angetan, und irgendwie stimmt es mich traurig, dass mit dem Roman auch ihre Geschichte zu Ende ging. Bei der Arbeit an »Infinitia« (https://www.piper.de/buecher/infinitia-isbn-978-3-492-70679-7) ging mir das Schicksal von Ria so nahe, dass ich manchmal fast zu Tränen gerührt war.

Geschichten funktionieren in Büchern übrigens noch besser als in Filmen. Bei einem Film ist alles vorgegeben, die Bilder sind bereits fertig. Ein Buch bietet die Möglichkeit, der erzählten Geschichte eigene Farben und eigene Details hinzuzufügen – es ist wie eine Regieanleitung für den besten aller Regisseure, den im eigenen Kopf. Wer sich Zeit für ein Buch nimmt, öffnet damit die Tür zu einem neuen, anderen Leben.

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