Schreiben und übersetzen, eine Frage der Kreativität

Schreiben und übersetzen, eine Frage der Kreativität

Ich habe vor 40 Jahren als Autor angefangen (siehe meinen Beitrag »Die Anfänge, vor 40 Jahren«) und bin erst später, in den 80er-Jahren – nach meiner Auswanderung ins schöne Italien –, zum Übersetzer geworden. Der Grund dafür war die einfache Tatsache, dass ich vom Schreiben allein damals kaum leben konnte und meine Familie natürlich finanziell abgesichert werden musste. Etwa 15 Jahre später hat sich diese Entwicklung dann wieder umgekehrt, und das eigene Schreiben rückte erneut in den Vordergrund. Seit Anfang des neuen Jahrtausends bildet es den Schwerpunkt meiner Tätigkeit. Ich könnte heute ganz auf das Übersetzen verzichten, aber gelegentlich befasse ich mich gern intensiv mit Texten, die von anderen Autoren verfasst wurden, denn: Man lernt nie aus. 🙂

Es ist eine Binsenwahrheit, dass man als Autor nicht nur schreiben, sondern auch viel lesen sollte. Die Beschäftigung mit geschriebener Sprache darf nicht auf die mit der eigenen beschränkt bleiben. Neue Ideen, Weiterentwicklung und die Erweiterung des eigenen schriftstellerischen Horizonts erfordern eine ständige Auseinandersetzung mit anderen Ideen und Konzepten – in diesem fruchtbaren Boden wurzelt die Kreativität. Andere Bücher zu lesen, ist eine Sache, sie zu übersetzen eine ganz andere, denn man taucht viel tiefer ein in den Text.

Das Übersetzen eines Romans ist nicht einfach nur die Übertragung von einer Sprache in die andere. Es geht zuerst einmal darum, den Text in allen seinen noch so subtilen Einzelheiten zu verstehen, und sich die Gedankenwelt des Autors zu eigen zu machen. Die Faustregel lautet: Die Übersetzung sollte so beschaffen sein, als wäre der Text als Original in der neuen Sprache geschrieben. Um das zu bewerkstelligen, muss der Übersetzer lernen, wie der Autor zu denken. Er muss sein Werk innerhalb dieser gedanklichen Strukturen interpretieren und neu schreiben. Das klingt alles andere als leicht, und ich verrate Ihnen: In einer guten Übersetzung, die sich leicht liest, steckt manchmal sehr harte Arbeit. Und es ist gleichzeitig eine sehr kreative Arbeit. Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Meinung, wonach ein Übersetzer »nur« den Text von einer Sprache in eine andere überträgt, ist ein guter Übersetzer Komplize des Autors, jemand, der ihm nicht nur über die Schulter schaut, sondern mit ihm an der Tastatur sitzt und sogar mit seinen Händen schreibt. Mit anderen Worten: Das Übersetzen ist eine sehr kreative Tätigkeit.

Aber die Kreativität des Übersetzers ist eine andere als die des Autors, und genau das ist der springende Punkt, denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich beide Arten der Kreativität wundervoll ergänzen. Wenn ich einen guten Roman übersetze, einen Text, der mich fordert, so lerne ich dabei die Denkweise des Autors kennen, und auch sein Handwerk: Ich erkenne genau, wie er seinen Roman angelegt, mit welchen Stilmitteln und dramaturgischen Tricks er gearbeitet hat – ich bekomme tiefen Einblick in seine Arbeitsweise. Natürlich schaue ich ihm nichts ab, natürlich kopiere ich nichts für meine eigene Arbeit, aber ich lerne, mehr und besser als durch das einfache Lesen Dutzender Romane.

MurdstoneDas ist einer der Gründe, warum ich gelegentlich noch übersetze, wie jüngst den ausgezeichneten Roman »Die Murdstone-Trilogie« für den Piper Verlag, den Sie hier http://www.piper.de/buecher/die-murdstone-trilogie-isbn-978-3-492-28069-3 finden. Und außerdem ist es angenehm, als Romanautor gelegentlich mit Texten zu arbeiten, die »bereits da sind«. 🙂

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